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Wortbrücke zum Sonntag Reminiszere – 16. März 2025

„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“
(Psalm 25, 6)

Was sagt Ihnen das Wort „Christenverfolgung“? Die meisten Menschen in Deutschland werden hiermit Bilder aus dem alten Rom vor sich haben, von Menschen in der Löwenarena und an Kreuzen, verstärkt durch die Technicolor-Filme Hollywoods wie den berühmten Film „Quo vadis“, dazu vielleicht ein paar Gedanken aus dem Geschichts- oder Religionsunterricht. In einem Gemeinwesen wie dem heutigen Deutschland herrscht hingegen große und umfassende, verfassungsrechtlich abgesicherte Religionsfreiheit, nach innen und außen. Höchstens ein Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber allem Religiösen und damit auch allem Christlichen ist bei vielen modernen Menschen präsent, manchmal negativ befeuert durch die Diskussion über Kindesmissbrauch im kirchlichen Bereich einerseits oder durch den Terror islamistischer Gewalttäter andererseits. Aber echte physische Verfolgung aus Glaubensgründen: eine Sache für Geschichtsbücher – oder doch nicht?

Es ist nur wenige Jahrzehnte her, dass im kommunistischen Regime Menschen auch in unserer Stadt als Mitglieder beispielsweise der evangelischen Jungen Gemeinde drangsaliert und verhaftet wurden. Sicher, keine Massenverfolgung wie unter den Kaisern Nero und Diokletian, aber dennoch scharf und entscheidend. Noch viel häufiger war, neben der umfassenden Judenverfolgung und -vernichtung der Shoah, in der nationalsozialistischen Diktatur die Verfolgung von Geistlichen wie christlichen Laien bis hin ins Konzentrationslager. Zumeist wurden solche Maßnahmen als für die staatliche Sicherheit notwendig und nicht gegen die Religion als solche gerichtet bezeichnet. Aber die christliche Friedensbotschaft als solche, die von Freiheit, Würde und Gerechtigkeit positiv spricht, kann für Diktatoren und Gewaltherrscher schon als bedrohlich empfunden werden. Aber wiederum, doch alles lange her, mahnend, aber Vergangenheit – oder?

Die Realität in unserer Welt ist eine andere. Christenverfolgung ist wiederum oder auch weiterhin an der Tagesordnung. Bis zu 300 Millionen der 1,5 Milliarden Christenmenschen erleben auch im 21. Jahrhundert Herabwürdigungen, Benachteiligungen, Zurücksetzungen, Verächtlichmachung, äußeren Druck bis hin zur physischen und psychischen Gewalt in vielen Formen und häufig aufeinander aufbauend. Dieses gilt von Nordkorea über den Irak bis hin nach Nigeria, um nur wenige Länder zu nennen. Selbst Gefängnis und Folter sind präsent. Von allen Verfolgungen, die es aus religiösen Gründen in der Welt gibt, ist der Kampf gegen das Christentum heutzutage die umfassendste. – Die Evangelische Kirche erinnert seit einigen Jahren stets am zweiten Sonntag der Passionszeit, Reminiszere, an diese verfolgten Geschwister im Glauben, ruft zur Solidarität auf und klagt und bittet vor Gott, getreu dem Sonntagsnamen: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit.“ Seien wir dankbar für unsere große Freiheit des Glaubens in Deutschland, aber sehen wir sie nicht als zu selbstverständlich an, denn sie ist es in weiten Bereichen rund um den Globus eben nicht. Beten wir für unsere verfolgten Mitchristenmenschen, denn sie brauchen gerade unser Gebet. Und fordern wir solidarisch und unmissverständlich die Freiheit des Bekenntnisses – gerade auch des christlichen Bekenntnisses – überall und jederzeit ein. Denn Christsein umfasst nach der Bergpredigt unseres Herrn Jesus von Nazareth immer auch aktiven inneren wie äußeren Einsatz für Frieden und Freiheit, für Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung. Rufen wir unsern Gott an: „Gedenke!“, und er wird die Kraft seines Heiligen Geistes uns dazu geben! So gehen wir, auch in diesem Fall, gemeinsam durch die Dunkelheit der Passion zum Licht des Ostermorgens.

Stephen Gerhard Stehli, Domgemeindekirchenratsvorsitzender