Das Bild zeigt den Blick aus meinem Krankenzimmer im Universitätsklinikum
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Wortbrücke zum 22. Sonntag nach Trinitatis – 27. Oktober 2024
Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte. (Psalm 130, 4)
Mein Leben lang bin ich ein reisefreudiger Mensch. Das habe ich schon von meinen Eltern mitbekommen, und es verband sich auch damit, dass ich im Ausland aufgewachsen bin. Reisen nach Deutschland waren immer etwas Besonderes Aber bis dato, mit 63, habe ich nichts an Lust und Laune auf andere Regionen und Länder, Kulturen und Sehenswürdigkeiten verloren, und das sowohl dienstlich als auch privat. Daher war der Kalender bis zum Weihnachtsfest voll, ein paar Tage London, eine Reise in die Schweiz, etc. etc. – und dann, ein blöder Haushaltsunfall aus heiterem Himmel, Leitersturz und Oberschenkelbruch, und alles wird ausgebremst, auf null.
Diese Wortbrücke schreibe ich daher aus der Universitätsklinik. Krankheit verändert radikal die noch so ausgefeilten Pläne, und plötzlich liegt man auf dem Rücken, und ist, vom Rettungsdienst bis zur OP und danach, auf Hilfe, Unterstützung und Pflege angewiesen. Nun ist ein Beinbruch zwar kein dauernder Beinbruch, da gibt es viel schlimmere Krankheit, Heilungsprognosen können gut sein, auch wenn es sich einige Monate hinzieht. Aber ganz allein kann man das Leben nicht bewältigen. Das zwangsentschleunigte Leben bietet Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren. Es kann auch hier wieder einmal ein neuer Weg zur Beziehung zu Gott zu gesucht werden, die Zeit ist ja da, und das Berufsleben geht auch ohne einen erstaunlich schnell weiter. Was ist das Wesentliche im Leben, wenn man auf Liegen, Lesen, Schlafen, Heilen reduziert wird? Unfall und Krankheit waren und sind immer ein Teil der menschlichen Existenz, und da Gott alle Bereiche des Lebens berührt, ist er, das lässt sich spüren, auch bei uns, wenn wir verunfallt sind, wenn wir krank werden.
Wo war Gott (und der Schutzengel) beim Unfall, das ist die falsche Frage. Gott ist immer dabei, auch bei dem Schweren und Herausfordernden, das uns Menschen geschieht. Gott in Jesus Christus ist auch hier im Krankenhaus weiterhin bei mir, das Leben im Wesentlichen öffnet manche verstopften Kanäle des Miteinanders des endlichen Menschen mit seinem ewigen Schöpfer, der sich aber bewusst und gewollt ihm zuwendet. Den Unfall habe ich mir zuzuschreiben, mit ihm umgehen kann ich mit meinem, mit unserm Gott, und der ist treu! Das ist nicht immer zu spüren, gewiss, aber es ist ein Ansatz für die Ausnahmesituation, und die kann vielfältig sein.
In den Psalmen des Volkes Israel haben sich immer Loben, Danken und Klagen versammelt, daher sind sie so wirkmächtig im Gebet und Gesang und Vertonung bis heute. Der Wochenspruch für diesen Sonntag muss aber im Krankheitsfall ein wenig reflektiert werden: Vergeben muss keine Krankheit werden, denn Krankheit ist keine „Strafe Gottes“, vielmehr spricht Gott uns stete Annahme und Ausnahme zu. Und Gott ist auch in den einsamen Nachtstunden des Krankenzimmers nicht zu „fürchten“, weil er mich bedroht, sondern zu achten, zu lieben, weil er mich liebt und annimmt. So lese ich den Wochenspruch aus dem Krankenhaus heraus so: „Du nimmst uns an, und wir dürfen dich annehmen.“ – Gott und Mensch, sie können sich gegenseitig lieben, achten, begleiten, gerade auch, wenn der Weg aus der Krankheit, aus der Langsamkeit und der Rekonvaleszenz wieder in das volle, anregende, schwierige, schöne, schwere, aber immer von Gott begleitete Leben führt.
Stephen Gerhard Stehli
Domgemeindekirchenratsvorsitzender zu Magdeburg
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