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Wortbrücke in die Domgemeinde – Palmsonntag 2024

Steht noch dahin

„Ob wir davonkommen, ohne gefoltert zu werden, ob wir eines natürlichen
Todes sterben, ob wir nicht wieder hungern, die Abfalleimer nach
Kartoffelschalen durchsuchen, ob wir getrieben werden in Rudeln,
wir haben's gesehen.
Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen, den Nächsten belauern,
vom Nächsten belauert werden, und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.
Ob wir uns fortstehlen, rechtzeitig auf ein weißes Bett oder zugrunde gehen
am hundertfachen Atomblitz, ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben,
steht noch dahin, steht alles noch dahin.“
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)

Palmsonntag – steht alles noch dahin. Wir sind eingebunden in die Geschichte.
In die Weltgeschichte und in die Lebensgeschichte.
Diplomatie kann auch tödlich sein, wenn sie den Status quo gefährdet sieht.
Die, die den Tod von Jesus forderten, waren einige Händler, waren einige Tempeldiener,
waren Kollaborateure der römischen Besatzungsmacht.
Die Geschichte ist über sie hinweggegangen.
Jesus durchkreuzt alle Pläne.
Und – PROZESS – ist ein lateinisches Wort; es heißt: vorantreiben.
Die, die mit Jesus mit 32 Jahren kurzen Prozess gemacht haben, haben dadurch einen sehr, sehr langen Prozess in Gang gesetzt.
Aus dem Jahre 32 des ersten Jahrhunderts bis 2024 hierherführend ... an das Elbufer – in die Domgemeinde.
Wenn kein Frieden wird, sind die Kaschnitz-Zeilen bedrückend aktuell.
Was bleibt, ist auch Palmsonntag dennoch der Osterhorizont, der sich über alles Leiden spannt.

Domprediger Jörg Uhle-Wettler