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Wortbrücke zum 19. Sonntag nach Trinitatis – 26. Oktober 2025
Liebe Besucherinnen und liebe Besucher unseres Doms!
Das mit dem Christentum, das ist schon eine großartige Sache. Wenn wir es glauben, und nur mit glauben geht der Glaube, auch der christliche, wendet sich der große, ewige, alles umfassende Gott uns Menschen zu, ganz persönlich, ganz einzeln und auch als Gemeinschaft. Er gibt uns einen Rahmen vor, den wir als Menschen verstehen können, für unser Verhalten auf der Welt, damit wir nicht in Aggression und Depression, in Angst und Gewalt verharren müssen, wie wir sie in der Welt sehen und erleben, sondern einen anderen, menschenfreundlicheren Weg gehen können. Damit wir auch Gott, der nicht gefasst werden kann, trotzdem ein wenig begreifen können, tritt er uns im Menschen Jesus Christus, dem Mann aus dem ganz konkreten Nazareth gegenüber, mit Aufforderungen, aber auch Zusagen. Die uralten Gebote werden durch Gottes Liebe – denn Gott ist ja die Liebe selbst – neu akzentuiert. „Du sollst nicht töten, stehlen, lügen, ehebrechen, begehren“ werden in dieser liebenden Zuwendung zu befreienden Pfaden: „Du brauchst nicht zu töten, zu stehlen, zu lügen, die Ehe zu brechen, zu begehren“. Dieser Gott gibt neue Richtungen vor, Richtungen, zu denen wir Menschen häufig gar nicht von allein bereit sind. Er öffnet uns im Glauben hierfür die Augen und die Ohren. Und dann gibt es obendrein noch Zusagen für das Leben nach diesem Leben, denn unser irdisches Dasein ist begrenzt, und die Welt um uns ist – ebenso wie wir selbst – begrenzt und fehlerhaft. Damit könnten wir uns doch insgesamt sehr gut einrichten, oder? So hat es voll Vertrauen schon vor Jahrtausenden der Prophet Jeremia erkannt, als er knapp und umfassend den Spruch schrieb, den unsere Kirche über die neue Woche stellt:
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“
Das zu erkennen und anzunehmen, ist die unwahrscheinlich schöne Ausgangssituation des angenommenen Glaubens. Glauben ist festes Vertrauen, selbst über Zweifel hinaus. Deswegen kann Glauben leicht sein. Und doch ist er wieder schwer, nicht nur, weil Gott trotz Jesus von Nazareth häufig so schwer zu fassen ist. Der Glaube erfordert, ja fordert auch Folgen für das eigene Leben und für den Umgang mit dem Mitmenschen. Es geht nicht ohne. Der schnell gebrachte Satz von der Nächstenliebe oder gar der Feindesliebe ist eine Herausforderung an das ganze Leben. Er bleibt eine Herausforderung, weil nicht nur wir unsere Macken, Fehler und dunklen Seiten haben, sondern die anderen auch. Mit dem Begriff der Liebe können wir weitere Begriffe wie Achtung, Respekt, Neubeginn, Vertrauen verbinden. Nicht jeden Menschen werden wir im gleichen Maße mögen können, aber wir können mit den vielen Aspekten der praktischen Liebe, der nicht verzichtbaren Folge des Glaubens, diesem Anspruch an uns nacheifern. Wir sollen ja auch nicht nur Gott und den Mitmenschen lieben, sondern auch uns selbst. Der andere ist mir ähnlicher als ich manchmal annehmen möchte, und das Über-den-eigenen-Schatten-Springen ist eine christliche Königsdisziplin! Und wenn es einmal nicht gelingen will, dann können wir immer wieder das Vertrauen des Jeremia uns in allen seinen Aspekten zu eigen machen:
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“
Gesegnete, gute Herbsttage!
Ihr
Stephen Gerhard Stehli, Domgemeindekirchenratsvorsitzender
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