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Diebold Schilling d. Ä., Spiezer Chronik (1485): Feuertod des Jan Hus in Konstanz (gemeinfrei)
 

Wortbrücke zum 3. Sonntag nach Trinitatis (06.07.2025)

Als um 1414 zu einem Konzil nach Konstanz geladen wird, strömen sie zu Tausenden herbei: Kardinäle, Patriarchen, Bischöfe, Äbte, Professoren. Dazu ihre Begleiter und alle, die ihnen zu Diensten sein wollen. Die kleine Stadt platzt aus allen Nähten. Das Konzil spiegelt die wüsten Missstände der Kirche. Es gibt zwei, auch schon mal drei Päpste, die sich gegenseitig verdammen. Diese Kirchenspaltung muss auf dem Konzil überwunden werden.

Am 6. Juli 1415 soll eine weniger wichtige Sache erledigt werden, eher eine Lappalie: es geht nur um einen Ketzer. Das große Münster ist gut besetzt. Kaiser Sigismund sitzt auf einem Thron, viele Herrschaften tragen ihre Bedeutsamkeit mit farbiger Amtskleidung zur Schau. Gemeines Volk finden wir nicht. Viele stehen notgedrungen draußen vor der Kirche. Auch der eine, um den es heute geht: Im schlichten schwarzen Gewand wartet er inmitten seiner Bewacher. Er darf nicht hinein. Er ist unwürdig, die Messe zu empfangen. Er ist Ketzer. Draußen vor der Stadt wird eine Feuerstelle für ihn hergerichtet, Holz wird zusammengetragen und Stroh. Und ein Pfahl ist aufgestellt, an den man ihn binden wird. "Heute brät man eine Gans!" werden die Leute sagen, die das tschechische Wortspiel verstehen: denn "Gans" heißt tschechisch Husa, und Jan Hus ist der Name des Ketzers, für den das Feuer vorbereitet wird.

In einer Zeit des politischen und kirchlichen Niedergangs liegen die Themen in der Luft. Hus greift sie auf. Er mahnt Reformen an. Wie viele Gleichgesinnte. Er ist nicht der Radikalste, aber der Verständlichste. Hus nennt die Übel beim Namen: z. B. die Geldgier der Priester, die für alles kassieren. Er beklagt den Sittenverfall in allen Bereichen, vor allem bei den Priestern. Bei den einen ist Hus populär. Andere hassen ihn. Seine Gegner schicken Spione in seine Gottesdienste. Spöttisch stachelt er sie an: Schreibt alles fein auf, und dann gebt es weiter an die, die mich verurteilen wollen. Die Spione berichten Schlimmes: Dass man Päpste nach der Heiligen Schrift beurteilen müsse, sagt Hus, und dass auch Päpste irren können. Es gibt kein Haupt dieser Kirche außer Christus. Der Gehorsam gegenüber dem Staat wird relativiert. Bei der Messe wird nicht nur Brot, sondern auch der Kelch an die Gemeinde gegeben.

Die Gegner gehen zum Papst, und verklagen Hus. Sie bringen viel Geld mit. Das korrupte System funktioniert reibungslos: 1412 wird Hus von der Kirche verurteilt. Hus wird zum Konzil vorgeladen. Der König hat ihm freies Geleit garantiert. So geht Hus trotz vieler Warnungen hin und nimmt es hin, dass der König seine Garantie hinterher aus politischen Gründen nicht aufrecht halten kann oder will. Er wird bald verhaftet. Im feuchten Kerker wird er schwer krank. Hus möchte mit seinen Richtern über Inhalte diskutieren, aber sie fordern nur Gehorsam. Er soll abschwören. Jetzt, am 6. Juli 1415, geht es im Münster in die juristische Schlussrunde.

In der Mitte der Kirche ist ein Podest für den Ketzer aufgebaut, alle sollen ihn beobachten können. Die Anklage wird verlesen. Die Anklagepunkte sind keine Zitate von Hus, sondern Aussprüche des vor gut 40 Jahren verstorbenen englischen Theologen Wyclif. Immer wieder ruft Hus in die Kirche hinein: "Das habe ich nicht gelehrt! Das habe ich nicht gesagt!“ Man überhört ihn oder schreit ihn nieder. Fassungslos vernimmt Hus den grotesken Vorwurf der Anklage, er habe sich als vierte Person der Trinität ausgegeben. Immer wieder fällt er auf die Knie, um zu beten. Und man hört: "Vergib ihnen." Das Urteil wird gefällt. Zuerst werden seine Schriften verbrannt und dann er selbst.

Das Konzil zieht sich zu den nächsten Beratungen zurück. Man hat eine Ketzerei erledigt. Hus und seine Lehre sind jetzt aus der Welt. Welch ein Irrtum. Die Herren vom Konzil ahnen nicht, wie es nach der Hinrichtung weitergeht. Und dass hundert Jahre später ein anderer von sich sagen wird: Ich, Martin Luther, bin ein Hussit. Was hat dieser Justizmord alles losgetreten: alle reformatorischen Bewegungen dieser Zeit, die Taboriten, Katharer, Waldenser und andere taten sich als "Hussiten" zusammen. In den folgenden Kriegen kämpften die Hussiten um ihr Recht, ihren Glauben ausleben zu dürfen. Durch die Jahrhunderte hindurch blieb Hus umstritten. Für die einen ist er der Revolutionär, für die anderen ein Ketzer. Für wieder andere ist er tschechischer Nationalheiliger.

An Hus liegt es vermutlich, dass der Schwan auf alten Bildern und in Kirchen ein Symbol für Luther ist. Denn Hus soll, so die Legende, vor seinem Sterben gesagt haben: "Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan auferstehen".

Einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche wünscht Ihnen
Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof