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Wortbrücke zum letzten Sonntag nach Epiphanias, 29.1.2023

Aufstieg und Abstieg

Auf dem Berg Tabor erleben drei Jünger mit Jesus ein echtes Gipfelerlebnis, ja ein Gipfeltreffen, mit allem was ihnen heilig ist. Ein starkes religiöses Erlebnis. Den erfülltesten Augenblick des Lebens festhalten, das ist der Wunsch der Jünger. Dr. Faust, in Goethes Drama, kann genau dieser Versuchung nicht widerstehen. Er will in seinem Leben nur einmal zu einem bestimmten Augenblick sagen können: „Verweile doch, du bist so schön.“ Dafür geht er einen Pakt mit dem Teufel ein.

Das wird auf dem Berg Tabor verhindert. In dem Augenblick, als Petrus mit dem Gedanken spielt, man könne sich an diesem himmlischen Ort bequem einrichten (gerade hatte sich der Himmel für kurze Zeit geöffnet), ist schon wieder alles vorbei: „Nur“ noch Jesus ist da. Schaut auf ihn, das ist mein lieber Sohn, ist die göttliche Antwort. Die himmlischen Momente bleiben unverfügbar.

In Magdeburg, unterhalb des Klosters Unser Lieben Frauen, steht „Der Aufsteigende“ von Fritz Cremer. Wolf Biermann hat zu dieser Plastik ein Gedicht geschrieben, worin er u.a. die Fragen stellt: „Du, steigt der da auf zu uns? Oder steigt er von uns auf? Geht er uns voran, oder verlässt er uns?“ Bei der Verklärung Jesu, auf dem Gipfel des Tabor, ist es ein Abstieg auf uns zu. Jesus führt die drei Jünger wieder zurück nach unten. Dahin, wo sie meinten mit einem Anflug von Religion gerade entkommen zu sein. Die Hütten der Gemeinde sollen nämlich dort gebaut werden, wo Gott wohnen will: ganz unten, im Tal der Tränen, in der Not der Menschen, bei den Schwachen und Geschundenen, in den Mühen des Alltags. Und es ist auch ein Abstieg in unfassbare Abgründe. Es ist mir durch die terminliche Nähe unmöglich, dass Evangelium von der Verklärung Jesu (Mt. 17), für den letzten Sonntag nach Epiphanias, zu lesen, ohne an das Konzentrationslager Auschwitz und seine Befreiung am 27.1.1945 zu denken. Auschwitz: Ein Abstieg in eine Hölle auf Erden. Für die Theologin Dorothee Sölle, ist Auschwitz das Indiz dafür, dass das Wirken Gottes immer ein Mitwirken des Menschen erfordert – und umgekehrt, wie es der Holocaust schrecklich deutlich macht. In dem „Brief an meine Enkel“ schreibt sie: „ich bin manchmal ärgerlich auf die ganze Kirche, die nur davon spricht, dass Gott uns liebt und dass er uns beschützt, wärmt und rettet, aber vergisst, dass das erste Gebot heißt, dass w i r Gott über alle Dinge lieben sollen…Jede Liebe ist gegenseitig…

Wenige Wochen nach der Befreiung des Konzentrationslagers erschien der erste deutschsprachige Artikel über die nun bekannten Gräuel im Lager Auschwitz („Freies Deutschland“). Er schließt mit den Worten: „Ging diese Saat nicht auf im deutschen Volk? Duldeten wir sie nicht? Nährten wir sie nicht? „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, dass wird er ernten.“

Thomas Lösche, Religionspädagoge