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Wortbrücke zum Pfingstsonntag (28.05.2023)

Pfingsten: Gott gießt seinen Heiligen Geist aus in die Herzen der Anhängerinnen und Anhänger Jesu und macht sie damit zu anderen Menschen. Zu Menschen, die auf andere zugehen, die ihre Sprachlosigkeit überwinden und von der Liebe reden, die in ihren Herzen wie Feuer brennt. Die schreckliche Erfahrung des Todes Jesu am Kreuz hatte viele erst einmal zum Verstummen gebracht. Voller Angst hatten sie sich zurückgezogen von der Welt, sich eingeigelt in der kleinen Gruppe der engsten Vertrauten Jesu, die Türen fest verschlossen. Auch das Erlebnis der Auferstehung Jesu hatte daran kaum etwas verändert. Im Markusevangelium, dem ältesten der Evangelien, ist das noch sehr deutlich spürbar: Die erste Reaktion der Frauen und der anderen Jünger auf die Auferstehung Jesu war nicht Freude und Glück, sondern Entsetzen und Furcht. Die Ostergeschichten der anderen Evangelien lassen schon etwas von der Hoffnung erkennen, die nach der Auferstehung in den Freunden Jesu aufkeimt wie eine zarte Pflanze: „Er ist nicht tot. Er ist auferstanden!“ Und doch: Es braucht Zeit, um nach der Erfahrung von Tod und Sterben, Schmerz und Einsamkeit wieder neue Freude zu empfinden und sich dafür zu öffnen, dass die Liebe stärker als der Tod ist. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu, mussten vorher erleben, wie ihre eigene Hoffnung ans Kreuz genagelt wurde, ihre Freude, ihr Glaube. Alles schien verloren. Für sie ist am Kreuz nicht nur Jesus gestorben, sondern mit ihm das Leben selbst: die Hoffnung, die Wahrheit, die Schönheit, der Sinn.

Für die Freunde Jesu braucht es fünfzig Tage, bis die zarte Pflanze neuer Hoffnung groß werden und neu aufblühen kann und dann wie ein Sturmwind sich ausbreitet. Zu Pfingsten bricht sich die Freude Bahn. Die Jüngerinnen und Jünger überwinden das sprachlose Entsetzen, das sie bisher erfüllt hatte. Auch wenn die Darstellungen oft nur die Männer zu Pfingsten zeigen, wie die Abbildung unten, heißt es doch in der Apostelgeschichte, dass sie alle beieinander waren, also auch die Frauen, die Auferstehungszeuginnen und Maria, die Mutter Jesu. Sie alle erleben den Geist Gottes in ihren Herzen, der sie entflammt, sie von neuem erfüllt mit Mut, mit Kraft und mit Liebe. Sie spüren, dass das, was Jesus ihnen versprochen hat, wahr geworden ist und weiter gilt: Er ist bei den Seinen alle Tage bis ans Ende der Welt. Er wohnt mit Gott, dem Vater, in ihren Herzen, ist ihnen gegenwärtig mit all dem, was er sie gelehrt hat, mit seinem Trost, seiner Liebe, seinem Frieden und seinem Geist.

Das Pfingstereignis macht mir Mut. Der Geist Gottes ist ansteckend. Die Pfingstgeschichte macht deutlich: Wenn der Geist Gottes Raum bekommt, bleibt dies nicht ohne Wirkung. Andere werden vom Geist Gottes angesteckt, öffnen sich für ihn, werden mit Glauben erfüllt. Darum lasst uns offen sein für das Wirken des Geistes, für seine Impulse, auch wenn sie uns manchmal vielleicht seltsam erscheinen mögen, denn der Geist Gottes weht wo er will.

Der Geist Gottes ist der Geist Christi, der uns an alles erinnert, was Jesus Christus gelehrt hat. Er bringt uns auf die verrückte Idee, unserem Feind etwas Gutes zu tun, zu vergeben und aus der Liebe zu leben. Er verleitet uns, anderen unsere Schuld einzugestehen und um Vergebung zu bitten. Er bewegt uns zum Mitgefühl mit allen seinen Geschöpfen und stärkt uns, materiellen Dingen wenig Wert beizumessen und unseren Besitz für die Armen herzugeben. Und entfacht in uns das Feuer der Liebe und die Lust daran unser Leben für andere Menschen hingebungsvoll zu leben.
Der Geist des Kapitalismus regiert anders und nach seinen Gesichtspunkten ist das, was der Geist Gottes uns aufträgt, höchst seltsam oder unklug. Doch wenn wir auf den Geist Gottes hören, uns von seinem Wind treiben lassen, dann wächst das Reich Gottes unter uns und Frieden und Gerechtigkeit brechen sich Bahn. So sei es. AMEN.

Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof


Pfingsten und die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Apostel
aus dem Hortus Deliciarum „Garten der Köstlichkeiten“,
einer im 12. Jahrhundert von Äbtissin Herrad von Landsberg verfassten Enzyklopädie,
der ersten nachweislich von einer Frau verfassten Enzyklopädie.