Startseite   |   Impressum   |   Datenschutz    



 

Wortbrücke in die Domgemeinde zu Trinitatis am 4. Juni 2023

Das Nachtgespräch

Trinitatis. Gott ist unerforschlich und nicht zu begreifen; die Erkenntnis seines Wesens reicht über die Möglichkeit menschlicher Vernunft hinaus. So formulieren es Epistel und Evangelium an diesem Sonntag, nicht nur im Dom. Das Motiv des Windes, der „bläst, wo er will“, nimmt das Geheimnisvolle der Gegenwart Gottes auf: Sie lässt sich nicht festmachen, kommt und geht, ohne dass man wüsste, woher und wohin.

Es ist ein eindrückliches Nachtgespräch, das Nikodemus mit Jesus führt. Wenn Sie Sonntag keinen Gottesdienst besuchen (können), lesen Sie es im Johannesevangelium: Kapitel 3, Verse 1-8.

Der Wind – hebräisch dasselbe Wort wie „Geist“ – weht, wo er will, man spürt ihn, aber man bekommt ihn nicht zu fassen. Das gehört zu Pfingsten und Trinitatis gleichermaßen.
Die Grenzen aller theologischer Bemühungen. Sei es der, der grauen Herren oder der bunten Vögel. Alle Einordnungsbemühungen und denkerische Einschachtelungen schlagen fehl.

Surgit ventus, temptemus vivere.
Der Wind / Geist kommt, versuchen wir zu leben.

In dem Roman „Wind, Sand und Sterne“ von Antoine de Saint-Exupéry beschreibt der Franzose, wie er auf einer langen Reise Hunderte polnische Arbeiter sah, die aus Frankreich abgeschoben wurden. Er muss in den überfüllten Zuggängen über die Schlafenden hinübersteigen. Sie wirken wie Lehmklöße, die in furchtbare Formen gepresst wurden.

Der letzte Satz im Roman ist ein Großartiger:
„Nur der Geist, wenn er den Lehm behaucht, kann den Menschen erschaffen.“

Domprediger Jörg Uhle-Wettler


Rembrandt:
Christ and Nicodemus,
ca. 1652

James Tissot:
Nicodemus,
1886-1894

Bild von Hulton Archive,
1754