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John Martin (1789-1854),
Der große Tag seines Zorns, 1851
Tate Britain, London
gemeinfrei

 

Wortbrücke zum Zweiten Sonntag im Advent (08.12.2024)

Warten Sie eigentlich gerne? Ich warte nicht so gerne einfach so ins Blaue hinein. Jedes Warten braucht ein Ziel: dass endlich der Zug weiterfährt oder das Kind geboren wird. Konkretes Warten ist oft schon anstrengend. Wann hat das Warten ein Ende? Danach fragen die Jünger ihren Meister und der antwortet: “Wer wartet bis ans Ende, der wird selig werden.” Jesus bestätigt also lediglich, dass die Jünger, ja, dass wir warten sollen. Nicht aufhören, sondern weiterwarten bis an das Ende. Er bestätigt die Sehnsucht, dass noch etwas aussteht, unerfüllt ist. Es bleibt ein zu füllender Platz im Herzen der Welt, in unseren Herzen. Und wir warten darauf, dass er besetzt wird.

Die Wartezeit, von der Jesus spricht, ist nicht eine vierwöchentliche Adventszeit. Die Jünger fragen, wann er am Ende der Zeit wiederkommen wird. Nicht von der Ankunft, sondern von der Wiederkunft Christi redet Jesus hier. Dieser andere Advent ist mit unserem Advent verwoben und ist doch der Advent am Ende der Zeit. Dann, wenn alle Weihnachtsfeste gefeiert sind, wenn der neue Himmel und die neue Erde da sind und Gottes Herrschaft anbricht.

Wie können wir in der Zwischenzeit bis dahin angemessen warten? Der Wochenspruch zeigt uns die Richtung: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ Das ist eine gute Art des Wartens. Nicht den Kopf hängen zu lassen oder gar in den Sand zu stecken, sondern aufzusehen, den Durch-, ja den Überblick zu wagen. Wer den Kopf hebt, kann um sich sehen, sieht die anderen. Wer den Kopf bewegt, kann auch in eine andere Richtung blicken, einen neuen Weg einschlagen, umkehren. Klassischerweise ist die Adventszeit eine Zeit der Buße und Umkehr, Vorbereitung auf eine ganz andere Zeit.

Was erwartet mich auf dem Weg zur Erlösung? Es scheint keine Entwicklung zu einem immer besseren Leben zu sein, sondern die apokalyptischen Szenen und Bilder zeigen, dass es um Bewährung, ums Durchhalten trotz aller Anfechtung geht. Sie bebildern unsere menschlichen Ängste, die in schwierigen Zeiten aufsteigen: Angst vor Bomben und Krieg, vor Erdbeben, Wirbelstürmen und Hochwasser, vor Verrat, Mobbing und Lieblosigkeit. Sie sind nicht das Ende, aber sie sind dennoch angsteinflößend und wollen deshalb beim Namen genannt sein. Also: nicht Augen zu, sondern Augen auf: Seht zu und erschreckt nicht. Trotz allem Schrecken lasst nicht davon ab, die Hoffnungsschimmer in dieser Welt zu entdecken und der Hoffnung, die auf uns zukommt, zu vertrauen und auf sie zu warten.

Die Adventszeit ist wie ein Vorgeschmack auf die endgültige Wiederkunft Christi. Während sich die Advents-Wartezeit leicht berechnen lässt mit Hilfe der Kerzen am Adventskranz und den Türchen am Adventskalender, lässt sich der endgültige Advent Gottes nicht berechnen. Er kommt plötzlich, und er liegt allein in seiner Hand. Das ist sehr entlastend. Dafür brauchen wir eine innere Vorbereitung und Haltung und nicht so viel äußere Vorbereitung wie jetzt zum Weihnachtsfest.

Ihnen eine neue Lust am Warten und eine aufgerichtete Haltung im Advent!

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen
Ihr Friedrich Kramer, Erster Domprediger und Landesbischof